Kurde aus Berner Regionalgefaengnis befreit
Aktion von Sympathisanten der Sans-Papiers

Demonstranten haben in der Nacht zum Mittwoch einen tuerkischen Staatsangehvrigen aus dem Regionalgefaengnis im Amtshaus von Bern befreit. Der 34-jdhrige Mann war festgenommen worden, als er im Rathaus die Fragestunde des Grossen Rates verfolgen wollte. Für die Aktion erklaerten sich Sympathisanten der Sans-Papiers verantwortlich.

Bern, 30. Januar

Wie die Berner Stadtpolizei mitteilte, hatten sich am Dienstagabend nach 22.15 Uhr rund 50 (nach anderen Angaben rund 300) zum Teil vermummte Demonstranten zwischen der Hodlerstrasse und der Genfergasse versammelt. Sie deckten die Ueberwachungskamera mit einem Transparent ab und schlugen gegen die Eingangstuere des Regionalgefaengnisses im Amtshaus. Noch bevor die von der Gefaengnisleitung alarmierte Stadtpolizei anrueckte, gelang es den Sympathisanten der Sans-Papiers, einen Gitterstab der Zelle zu zersaegen, das Fenster einzuschlagen und dem papierlosen Kurden zur Flucht zu verhelfen. Die Demonstranten zogen sich hierauf in das alternative Kulturzentrum Reithalle zurück. Es konnte niemand mehr angehalten werden.

Die Sicht der ‘Befreier’
Der 34-jährige Kurde befindet sich weiter auf der Flucht. Er war am Vormittag beim Eintritt ins Berner Rathaus von der Kantonspolizei kontrolliert und festgenommen worden. Der abgewiesene Asylbewerber wollte in der Fragestunde im Grossen Rat die Stellungnahme der Regierung zu einer unabhaengigen 'Beratungsstelle für Illegalisierte' hoeren. Bei der Kontrolle zeigte sich, dass er vom Kanton Basel-Landschaft rechtsgueltig zur Anhaltung ausgeschrieben war. In juengster Zeit hatte er sich mit dem Kollektiv der Sans Papiers in Bern an einer Kirchenbesetzung beteiligt.

Das Sans-Papiers-Kollektiv gibt den Namen des fluechtigen und erneut zur Verhaftung ausgeschriebenen Kurden mit Sherif At an. In einer Medienmitteilung distanziert es sich ‘ganz klar und in aller Form’ von der Aktion, ‘obwohl uns ein Laecheln nicht verwehrt ist’. Die juristischen und politischen Schritte zur Befreiung von Sherif seien nun natuerlich überfluessig. Für die Befreiung erklaert sich eine ‘Handwerksgruppe Menschenrechte - jetzt sofort’ verantwortlich. Sie habe den verfolgten Kurden vor der Ausschaffung durch die Fremdenpolizei bewahrt. Er haette im Verlaufe des Dienstags in den Kanton Basel-Landschaft verlegt werden sollen, wie einer Information der Berner Kantonspolizei zu entnehmen ist. Der Transport unterblieb jedoch, weil die Baselbieter Behoerden noch keinen Auftrag erteilt hatten.

Radikalisierung der Situation
Man habe eine derartige Aktion und ein solches Gewaltpotenzial im Zusammenhang mit den Sans-Papiers im Kanton Bern selbst bei schwierigen Ausschaffungen bisher noch nie erlebt, sagte Gisela de Thomas, Vorsteherin des kantonalen Amtes fuer Migration und Personenstand, gegenueber dem Regionaljournal von Radio DRS und der Agentur AP. Sie stelle eine Radikalisierung der Situation fest; das Unterstuetzungs-Kollektiv beharre auf einer Globalloesung. Die Berner SVP verurteilt die ‘rechtsbrecherische Tat’ scharf. Es koenne nicht angehen, dass irgendwelche Gruppen das Recht missbrauchten oder beugten.

Die Sans-Papiers und das sie unterstuetzende Kollektiv lehnten hingegen jede Verantwortung ab, obwohl es sich um eine ‘sympathische Solidaritdtsaktion’ gehandelt habe. Das Kollektiv habe mit der Befreiung nichts zu tun. Dennoch sei die Aktion ein Zeichen der Staerke der Bewegung. Es werde jetzt mit repressiven Schritten gerechnet, zum Beispiel mit Razzien. Man habe deshalb ‘gewisse Sicherheitsmassnahmen’ getroffen.


Neue Zürcher Zeitung, Ressort Inland, 31. Januar 2002, Nr.25, Seite 15